SVIT Schweiz
Veröffentlicht am 17. November 2020

Bundesgericht: Praxisänderung bei der Berechnung der Nettorendite

Das Bundesgericht ändert zwei Parameter zur Bestimmung des zulässigen Anfangsmietzinses von Wohn- und Geschäftsräumen anhand der Nettorendite. Künftig ist das investierte Eigenkapital in vollem Umfang der Teuerung anzupassen. Als zulässig gilt sodann ein Ertrag, der den Referenzzinssatz um 2% übersteigt, wenn der Referenzzinssatz 2% oder weniger beträgt. Aus der Sicht des SVIT Schweiz anerkennt das oberste Gericht damit einerseits, dass die Methode zur Berechnung des nicht-missbräuchlichen Mietzinses in besonderen Zinslagen zu einem unbefriedigenden Ergebnis führt. Anderseits führt der Schwellenwert des Referenzzinssatzes von 2% zu vielen Fragen und praktischen Problemen.

Mieter können unter gewissen Voraussetzungen die Höhe des Anfangsmietzinses für Wohn- und Geschäftsräume als missbräuchlich anfechten und dessen Herabsetzung verlangen. Ob ein Mietzins missbräuchlich ist, bestimmt sich entweder danach, ob damit ein übersetzter Ertrag aus der Mietsache erzielt wird (Nettorendite, absolute Methode) oder ob sich der Mietzins im Rahmen des Orts- oder Quartierüblichen bewegt (relative Methode).

Im Urteil des Bundesgerichts 4A_554/2019 vom 26. Oktober 2020, das jetzt vorliegt, betrug der monatliche Anfangsmietzins für eine 4.5-Zimmer-Wohnung im Kanton Waadt 2190 CHF (exkl. Nebenkosten) und für die zwei Einstellhallenplätze je 130 CHF. Das zuständige Mietgericht senkte die Wohnungsmiete auf Klage der Neumieter aufgrund einer Berechnung der Nettorendite auf 900 CHF/Mt., die Miete für die beiden Parkplätze auf je 50 CHF/Mt. Das Waadtländer Kantonsgericht bestätigte diesen Entscheid.

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde der Vermieterin – einer Pensionskasse – teilweise gut. Es legt den zulässigen monatlichen Mietzins für die Wohnung auf 1390 CHF fest und für die Parkplätze auf je 73 CHF. Bei seinem Entscheid ändert das Bundesgericht seine bisherige Rechtsprechung zur Berechnung der Nettorendite. Konkret geht es dabei um zwei Parameter: Erstens ist das investierte Eigenkapital neu zu 100% – und nicht wie bisher nur zu 40% – an die Teuerung anzupassen. Zweitens darf der Ertrag den Referenzzinssatz um 2% – und nicht wie bisher nur um 0,5% – übersteigen, wenn der Referenzzinssatz 2% oder weniger beträgt. Im Weiteren bestätigt das Gericht jedoch seine Praxis, etwa indem es die Hierarchie von absoluter und relativer Methode aufrecht erhält.

Überraschender Zeitpunkt und beachtenswerte Begründung

Interessant ist, wie das Bundesgericht sein Urteil in einer eigens dazu publizierten Medienmitteilung begründet: Die Rechtsprechung zu den beiden nunmehr geänderten Parametern datiere aus den Jahren 1994 bzw. 1986. Massgebend für die aktuelle Praxisänderung seien die seither eingetretenen Veränderungen, insbesondere die nachhaltig gesunkenen Zinssätze für Hypotheken bzw. des massgebenden Referenzzinssatzes. Diese Entwicklung habe dazu geführt, dass gemäss bisheriger Berechnungsmethode mittlerweile sehr niedrige Mieterträge resultierten. Diese stünden in keinem angemessenen Verhältnis zur Nutzung betreffender Wohnungen. Sie seien namentlich für Pensionskassen, die Renten an ihre Versicherten zahlten und dementsprechend einen hinreichenden Ertrag aus ihren eingeschränkten Anlagemöglichkeiten erwirtschaften müssten, nicht ausreichend. Das gelte aber auch für die übrigen Immobilieneigentümer, die ebenfalls Risiken eingehen würden (u.a. Mietzinsverluste, leer stehende Räumlichkeiten).

Diese wirtschaftliche Sichtweise ist für das Gericht beachtenswert. Die Festsetzung des zulässigen Mietzinses durch die Vorinstanz auf 900 CHF/Mt. bezeichnet das oberste Gericht denn auch als «schockierendes Ergebnis». Es muss den Richtern gedämmert haben, dass unter den aktuellen Umständen der von ihnen eingeschlagene und seit Jahren beschrittene Weg zu absurden Ergebnissen führt, gerade in der Westschweiz.

Dass hier eine Praxisänderung angezeigt ist, dürfte bereits bei der Besetzung des Gerichts berücksichtig worden sein. Üblicherweise werden solche Verfahren in einer 3er-Besetzung und nicht wie nun in einer 5er-Besetzung geführt. Die Vorsitzende des Verfahrens und Präsidentin der Ersten zivilrechtlichen Abteilung, Christina Kiss, gilt ansonsten als mieterfreundlich. Die Gewichtung der Argumente dürfte auch politischen Niederschlag finden, wird das Urteil doch just vor der Behandlung der Parlamentarischen Initiative von Nationalrat Olivier Feller «Zeitgemässe Berechnung der zulässigen Rendite im Mietrecht» im Ständerat veröffentlicht. Dies kann als Signal an die Mietervertreter gedeutet werden, dass das Gericht künftig wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt. Eine andere Lesart ist allerdings, dass nun ein nach links gerücktes Parlament (tiefe) fixe Aufschläge ins Gesetz schreiben könnte oder dass damit sogar eine Revision des Mietrechts Auftrieb erhält.

Neue Fragen und Probleme

Mit der Praxisänderung führt das Bundesgericht einen Schwellenwert des Referenzzinssatzes von 2% ein. Dies führt konsequenterweise dazu, dass der Aufschlag bei einem Referenzzinsatz von 2,25% oder mehr weiterhin nur 0,5 Prozentpunkte betragen darf. Bei einem Referenzzinssatz von 2,25% wäre die zulässige Rendite somit 2,75%, bei einem Referenzzinssatz von 2% jedoch 4%. Hier urteilt das Bundesgericht erneut praxisfremd und nur auf den gerade vorliegenden Fall bezogen. Handelt das Parlament nicht, muss in dieser Sache eine Nachbesserung des Bundesgerichts folgen, beispielsweise mit abgestuften oder gleitenden Aufschlägen.

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