Immobilienwirtschaft
Die Leerwohnungsquote im Mietwohnungssektor ist deutlich höher, als es die Leerwohnungsziffer des Bundes glauben machen will. In 17 Kantonen der Schweiz herrscht ein Überangebot.
Von Ivo Cathomen

Leerwohnungsquote steigt weiter

Anfang Oktober hat das Bundesamt für Statistik (BFS) die Leerwohnungsziffer für Miet- und Eigentumswohnungen veröffentlicht. Demnach waren zum Stichtag 1. Juni 2020 insgesamt 78 832 (im Vorjahr: 75 383) Wohnungen als leerstehend und sofort zu vermieten bzw. zu verkaufen gemeldet. Dies entspricht einer Quote von 1,72 (1,66)% des Gesamtwohnungsbestands. Damit ist die Leerwohnungsziffer zum elften Mal in Folge gestiegen. Grund dafür ist die Bevölkerungsentwicklung und die Gründung der Haushalte, welche die hohe Neubautätigkeit der letzten Jahre nicht zu absorbieren vermag. Steigt die Zuwanderung, kann sich das Gesamtbild rasch wieder ändern.

Im Bereich der Mietwohnungen ist der Leerstand deutlich höher. Gemäss Berechnungen von Wüest Partner im Auftrag des SVIT Schweiz lag die Quote im Mietwohnungssektor bei 2,8 (2,7)%. In verschiedenen eher ländlichen ­Kantonen ist die Quote doppelt so hoch wie die offiziellen Zahlen des BFS. Im Kanton Wallis offenbart sich mit 7,3% (BFS: 2,40%) eine besonders dramatische Lage. Ab einer Quote von 3,0% kann von einem Überangebot gesprochen werden. Dies trifft auf 17 Kantone zu. Lediglich in den städtischen Gebieten herrscht weiterhin ein Nachfrageüberhang. Hier hinkt der Wohnungsbau der längerfristigen Bevölkerungsentwicklung bedingt durch eine Überregulierung hinterher.

Überarbeitung gefordert

Der SVIT Schweiz kritisiert die Systematik der offiziellen Leerwohnungsziffer seit Längerem und begrüsst, dass der Bundesrat die Erhebungsmethode auf den Prüfstand stellt. Die Zahlen im Mietwohnungssektor liefern kein verlässliches Bild des Wohnungs- und insbesondere des Mietwohnungsmarkts, weil Eigentums- und Mietwohnungen in der offiziellen Ziffer aggregiert werden und im dynamischen Wohnungsmarkt die allermeisten Wohnungen gar nie leer stehen, sondern direkt an den Nachmieter übergeben werden. Diese Wohnungswechsel tauchen in der Leerwohnungsstatistik des BFS gar nie auf. Denn offiziell gilt eine Wohneinheit nur als leerstehend, wenn sie auf dem Markt angeboten wird und sofort zur Verfügung, also leer steht.

Zahlen des Datenanalyseunternehmens Meta-Sys AG zeigen, dass allein am 1. Juni 2020 insgesamt 38 099 Miet- und 67 501 Eigentumswohnungen auf Online-Marktplätzen ausgeschrieben waren. Im gesamten zweiten Quartal waren es total 219 735 Einheiten.

Der einzige Aussagegehalt der offiziellen Leerstandsziffer liegt in der Entwicklung über die Jahre. So lässt sich immerhin die Erkenntnis gewinnen, dass sich das Angebot bei den Wohnungen mit einem und zwei Zimmern am deutlichsten ausweitete (+14,5% bzw. +7,0%). Einzig die Zahl der Wohnungen mit fünf Zimmern nahm gegenüber dem Vorjahr leicht ab (–0,5%).

Starke Abweichung in Landkantonen

Die Leerstandsziffer des BFS bemisst sich nach den als leerstehend gemeldeten Wohneinheiten (Wohnungen und Einfamilienhäuser zur Miete und zum Kauf) im Verhältnis zum Gesamtbestand der Wohneinheiten. Zwar werden bei der Erhebung der Gemeinden die leerstehenden Wohneinheiten nach Miete und Verkauf unterschieden. Aber die Gesamtzahl der Miet- bzw. der Eigentumseinheiten in den Gemeinden und in der Schweiz sind nicht bekannt und können nur noch schätzungsweise bestimmt werden. Grund dafür ist, dass sie seit 2000 (Abschaffung der Volkszählung mit Vollerhebung) nicht mehr erfasst werden. Die Leerstandsquote der Mietwohnungen, die Wüest Partner im Auftrag des SVIT Schweiz berechnet, beruhen auf den von den Gemeinden effektiv gemeldeten leerstehenden Mieteinheiten einerseits und dem Wohnungsmodell von Wüest Partner andererseits. In diesem Wohnungsmodell werden die Gesamtbestände an Wohneinheiten für jede Gemeinde und jeden Kanton auf Basis von verschiedenen Faktoren (Wohnungsbestand, Wohnbautätigkeit, Neubauquote usw.) auf die Segmente Eigentum und Miete verteilt.

Zwischen den Leerstandsziffern des BFS und der Leerstandsquote Mietwohnungen von Wüest Partner ergeben sich teilweise erhebliche Unterschiede, z. B. im Kanton Wallis. Eine Erklärung ist, dass in den Kantonen mit grossen Unterschieden (eher ländliche Kantone) der Anteil des Wohneigentums typischerweise deutlich grösser ist als in Kantonen mit unterdurchschnittlichem Anteil des Wohneigentums (eher städtische Kantone). Im Kanton Wallis ist der Leerstand im Wohneigentum verschwindend klein und im Mietsegment dagegen sehr gross (7,3%). Daraus ergibt sich eine offizielle Leerstandsziffer des BFS von 2,40%.

Wüest Partner nennt eine Leerwohnungsziffer von 1,3% als optimalen Leerstand am Gesamtwohnungsmarkt. Alles ob diesen 1,3% zuzüglich der neu gegründeten Haushalte stellt einen Wohnungsüberfluss dar. Der Schweizer Gesamtwohnungsmarkt verzeichnet demnach seit 2016 einen Wohnungsüberfluss – und zwar in allen Kantonen, ausser Zug, Genf und Zürich.

Dilemma in den grossen Agglomerationen

Ein anderes Bild zeichnet die Entwicklung in den grössten Agglomerationen. Hier dümpelt die Leerstandsziffer um die Marke von 1,0%. Schlusslicht ist seit Jahren die Agglomeration Genf mit 0,63%. Es gab auch Jahre, in denen in der Rhonestadt nur 0,26% Leerstand verzeichnet wurde (2010). Entsprechend haben sich die Abschlussmieten in den Grosszentren von jenen in der restlichen Schweiz abgekoppelt. Grund dafür ist, dass der Wohnungsbau der längerfristigen Bevölkerungsentwicklung, bedingt durch eine Überregulierung, hinterherhinkt. Der Wille und die Möglichkeit zur Verdichtung in den bestehenden Bauzonen sind zu gering. Wüest Partner weist im neusten Immo-Monitoring für sechs der zwölf grössten Städte eine unterdurchschnittliche Leerstandquote am Wohnungsmarkt bei gleichzeitig sinkender Anzahl Neubewilligungen aus. Das heisst für die Zukunft nichts Gutes.