Immobilienrecht
Der variable Hypothekarzinssatz von Kantonalbanken ist seit 2008 nicht mehr aktualisiert worden. Das Bundesgericht hat nun entschieden, dass in Baurechtsverträgen mit dergleichen Abreden betreffend Baurechtszinsanpassungen der Referenzzinssatz zur Anwendung kommen soll.
Von: Seraina Kihm

Sachverhalt

Die Stadt A ist Eigentümerin eines 148 638 m2 grossen Grundstücks, worauf sie am 28. April 1983 ein selbstständiges und dauerndes Baurecht errichten liess. Zum Baurechtszins haben die Parteien in Ziff. 5 des Baurechtsvertrags vom 28. April 1983 das Folgende festgehalten: «Der jeweilige Bauberechtigte hat der Grundeigentümerin einen Baurechtszins zu entrichten. Dieser entspricht der Verzinsung des jeweiligen Basislandwertes zum jeweiligen Zinssatz der Bank C für neue erste Hypotheken auf Wohnbauten. Der Basislandwert wird alle zehn Jahre mit dem jeweiligen Verkehrswert des unbelasteten Grundstücks in Einklang gebracht, erstmals auf den 1. Januar 1994.»

Im Jahr 1986 überbaute B das ihm zur Verfügung gestellte Land mit zwei Gewerbebauten, welche als Logistik- und Bürogebäude genutzt werden, und einem Parkhaus. Die Parteien passten den Baurechtszins seit Vertragsabschluss zweimal einvernehmlich an. Im Hinblick auf die Anpassung des Baurechtszinses per 1. Januar 2014 konnten sich die Parteien nicht auf einen gemeinsamen Schätzungsauftrag einigen. In der Folge beauftragte B die D AG mit einer Schätzung und die Stadt A die Bank C. Bank C schätzte einen Landwert von rund 8,5 Mio. CHF unter der «Annahme, dass das Grundstück noch unbebaut im Baurecht abgegeben werden soll». Die D AG schätzte den Landwert auf circa 6 Mio. CHF. Darin wird die Liegenschaft «ohne Beachtung der Belastung des Grundstücks durch das Baurecht, aber mit Berücksichtigung der darauf befindlichen Bauten» bewertet.

Mit dem von der Stadt A neu berechneten Baurechtszins von 212 430 CHF pro Jahr war B nicht einverstanden, weshalb die Stadt A mit Klage vom 11. Februar 2016 die Feststellung des Baurechtszinses durch das Bezirksgericht Meilen verlangte. B verlangte die Abweisung der Klage und zudem die Feststellung des Gerichts, dass die Verzinsung des Basislandwerts gemäss dem vom Bundesamt für Wohnungswesen errechneten hypothekarischen Referenzzinssatz bei Mietverhältnissen vorzunehmen sei. Da die Stadt A mit ihren Begehren vor erster und zweiter Instanz unterlag, erhob sie am 18. Oktober 2019 beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen.

Unbelastet – unbebaut – unüberbaut?

Das Bundesgericht setzte sich zunächst mit der Frage auseinander, was mit der Formulierung in Ziff. 5 Abs. 2 des Baurechtsvertrags «Der Basislandwert wird alle zehn Jahre mit dem jeweiligen Verkehrswert des unbelasteten Grundstücks in Einklang gebracht [...]» genau gemeint ist. Im kantonalen Verfahren vertrat die Beschwerdeführerin die Auffassung, der Verkehrswert des Grundstücks sei zu berechnen, wie wenn es unüberbaut wäre. Die kantonalen Instanzen schlossen sich demgegenüber der Meinung des Beschwerdegegners an, wonach der Landanteil der mit dem Baurecht belasteten Liegenschaft anhand des Verkehrswertes im aktuellen Zustand zu ermitteln sei.

Traditioneller Baurechtsvertrag

Das Bundesgericht stellte zunächst fest, dass der wirkliche Wille der Parteien nicht mehr festgestellt werden kann, weshalb der Baurechtsvertrag nach dem sogenannten Vertrauensprinzip auszulegen ist. Weiter führte das Bundesgericht aus, dass die Baurechtsverträge aufgrund der langen Bindung der Parteien in der Regel einen Mechanismus vorsehen, um den zum Vertragszeitpunkt festgelegten Baurechtszins während der Vertragsdauer geänderten Verhältnissen anzupassen (Hypothekarzinssatz, Landesindex der Konsumentenpreise etc.). In der Praxis ­haben sich in diesem Zusammenhang folgende Typen von Baurechtsverträgen durchgesetzt: das «Zürcher Modell», das «Basler Modell», der «traditionelle Baurechtsvertrag» und das «Stadtzürcher Modell».

Nach Ansicht des Bundesgerichts liegt vorliegend ein Baurechtsvertrag nach traditionellem Modell vor, da der Baurechtszins aus der Multiplikation des Verkehrswertes des Landes mit dem Zinsfuss der Kantonalbank oder dem hypothekarischen Referenzzinssatz bei Mietverhältnissen berechnet wird und der Baurechtszins an den Wert des Landes, auf welchem die Baute steht, sowie an den Hypothekar- oder Referenzzinssatz indexiert ist. In diesem Modell wird also die Wertsteigerung des Landes berücksichtigt, nicht aber direkt der Ertrag der Liegenschaft selbst. Folglich ist die aktuelle Nutzung bei der Bemessung des Landwertes nicht massgeblich.

Landwert gleich Verkehrswert

Das Bundesgericht hält vor diesem Hintergrund fest, dass der Basislandwert im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses dem Wert des (noch) unbebauten Landes entsprach und in der Logik des gewählten Vertragstypus («traditioneller Baurechtsvertrag») der Verkehrswert des Grundstücks, wie von der Vorinstanz kritisiert, mit dem Landwert zusammenfällt. Denn der Baurechtszins kann nur dann sachlich richtig als Grundrente angesehen werden, wenn er als Preis für die Bodennutzung eines unüberbauten Grundstückes erscheint.

Die vertraglich gewählte Formulierung «Der Basislandwert wird alle zehn Jahre mit dem jeweiligen Verkehrswert des unbelasteten Grundstücks in Einklang gebracht» ist nach Ansicht des Bundesgerichts weder unklar noch widersprüchlich. Damit hat das Obergericht des Kantons Zürich, das auf den aktuellen Stand der Bebauung des Baurechtsgrundstücks abstellen will, die Regeln der Vertragsauslegung nach dem Vertrauensprinzip bundesrechtswidrig angewendet. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet. Für die Bestimmung des Landwertes für die Zwecke der Anpassung des Baurechtszinses im Sinn von Ziff. 5 Abs. 2 des Baurechtsvertrags ist auf den Wert des unüberbauten Grundstücks abzustellen.

Massgeblicher Referenzzinssatz

Zweitens setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, mit welchem Zinssatz der Basislandwert zu multiplizieren ist, um den Baurechtszins über die Vertragsdauer hinweg anzupassen. Das Obergericht argumentierte, dass ein analoger Referenzzinssatz zur Anwendung gelangen müsse, nachdem der ursprünglich gewählte Zinssatz der Bank C für neue erstrangige Hypotheken nicht mehr nachgeführt und nicht mehr angepasst werde. Dies müsse unbestrittenermassen der hypothekarische Referenzzinssatz bei Mietverhältnissen sein. Die Stadt A teilte die Ansicht des Obergerichts nicht, da nach ihrer Ansicht Ziff. 5 des Baurechtsvertrags die Bemessungsgrundlage des Baurechtszinses unmissverständlich festhält, nämlich den Zinssatz der Bank C für neue erstrangige Hypotheken.

Das Bundesgericht hielt zunächst fest, dass aufgrund fehlender Feststellung des wirklichen Willens der Parteien der Baurechtsvertrag wiederum nach dem Vertrauensprinzip auszulegen ist. Es führt weiter aus, dass nach der im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gängigen Auffassung der Zinssatz für erstrangige Hypotheken von Kantonalbanken gleichsam als vergleichbar mit den üblicherweise aus Immobilieninvestitionen fliessenden Erträgen galt. Per 1. Januar 2008 wurde jedoch ein (gesamtschweizerischer) Referenzzinssatz eingeführt. Dieser nationale Referenzzinssatz gelangt überall dort zur Anwendung, wo bisher der Zinssatz der im örtlichen Hypothekargeschäft führenden Bank (in der Regel die Kantonalbank) massgebend war. Im Gegensatz zur früheren Lösung, als die Zinssätze der Gross- und Kantonalbanken die Verhältnisse des lokalen Liegenschaftsmarkts widerspiegelten, bestimmt aktuell der gesamtschweizerische Liegenschaftsmarkt die übliche und angemessene Verzinsung langfristiger Immobilieninvestitionen.

Nationaler Referenzzinssatz seit 2008

Nach dem Vertrauensprinzip ist daher nach Ansicht des Bundesgerichts davon auszugehen, dass die Parteien mit der Formulierung «Verzinsung des jeweiligen Basislandwertes zum jeweiligen Zinssatz der Bank C für neue 1. Hypotheken auf Wohnbauten» nicht genau diesen und nur diesen Zinssatz gemeint haben, sondern gestützt auf den damals üblichen Referenzzinssatz der Baurechtsgeberin einen Ertrag ermöglichen wollten, der mit dem üblicherweise aus einer (langfristigen) Immobilieninvestition fliessenden Ertrag vergleichbar ist. Folglich hat das Obergericht kein Bundesrecht verletzt, indem es in Auslegung von Ziff. 5 des Baurechtsvertrags anstelle des Zinssatzes der Bank C für erstrangige (variable) Hypotheken für Wohnbauten den gesamtschweizerischen Referenzzinssatz für massgebend erklärt hat. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesgericht die Beschwerde der Stadt A in diesem Punkt abgewiesen.

Kommentar

Die Argumentation des Bundesgerichts betreffend Referenzzinssatz ist nachvollziehbar und es erscheint unseres Erachtens korrekt, dass für einen nicht mehr aktualisierten und gehandelten, variablen Zinssatz ein tatsächlich veränderlicher und nachgeführter Referenzzinssatz verwendet wird für diejenigen Fälle, in denen die Parteien genau diese Zins-Variabilität ursprünglich im Baurechtsvertrag vereinbart haben. Auch die juristische Herleitung der massgebenden Werte zwecks Bewertung des Baurechtsgrundstücks ist verständlich. Dieser Entscheid macht jedoch deutlich, dass sprachliche Nuancen einen wesentlichen Einfluss auf den Wert und letztlich die Bewertung eines (Baurechts-)Grundstücks haben können.

Hinweis

Nicht nur das Bundesgericht lässt den variablen Hypothekarzinssatz für neue

erste Hypotheken auf Wohnbauten von kantonalen Banken durch den gesamtschweizerischen Referenzzinssatz ersetzen. Auch auf einigen Websites von Kantonalbanken erscheint ausdrücklich der Hinweis, dass der variable Hypothekarzinssatz nicht mehr für miet- und baurechtliche Verträge verwendet wird und dieser früher in den Kantonen massgebende Zinssatz am 10. September 2008 mit dem für die ganze Schweiz einheitlichen Referenzzinssatz ersetzt wurde.

Empfehlung

Die Baurechtsverträge werden in der Regel langfristig abgeschlossen und binden die Parteien und allenfalls deren Rechtsnachfolger während Jahrzehnten. Daher sollte bei Baurechtsverträgen üblich sein, einen Mechanismus vorzusehen, der eine Anpassung des im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses festgelegten Baurechtszinses erlaubt. Die Auswahl der Anpassungsfaktoren hängt mithin massgeblich von den Erwartungen der Parteien an die zukünftige makroökonomische Entwicklung ab. Vor diesem Hintergrund ist der Vertragsgestaltung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses besondere Aufmerksamkeit zu schenken.