Immobilienwirtschaft
2020 brachten pandemiebedingte Konsumverschiebungen im Detailhandel Nutzniesser und Leidtragende hervor. Da es sich um vorübergehende Substitutionseffekte handelt, können daraus nur bedingt Trendaussagen herausgelesen werden.
Von: Raphael Schönbächler

Keine voreiligen Schlüsse

85 000 Beschäftigte im Detailhandel mussten im April des letzten Jahres ungewollt in Kurzarbeit. Für den Detailhandel und sämtliche publikumsintensiven Nutzungen stellte das Jahr 2020 damit eine Ausnahmesituation dar. So müssen denn auch die Zahlen zum Detailhandelsmarkt gesondert betrachtet werden. Berater, Investoren oder Immobilienentwickler sind gut beraten, aus der aktuellen Krisensituation nicht zu voreilig Trends herauszulesen.

Ausbleibende Business- und Freizeittouristen, vorübergehende Schliessungen und geringere Frequenzen durch Homeoffice, Kurzarbeit sowie Hygiene- und Abstandsregeln beeinflussen seit Pandemieausbruch die Verkaufsflächenumsätze. Die aufgezwungene Reduktion des Einkaufstourismus – welche vor allem Lebensmittelgeschäften hilft – und die Zunahme von Ferien im Inland vermögen diese negativen Effekte nur teilweise zu kompensieren. Dass es kurzzeitige Krisen-Gewinner und -Verlierer im Detailhandel gibt, überrascht wenig; das Ausmass ist dennoch aussergewöhnlich und zugleich existenzbedrohlich für zahlreiche Geschäfte. Konsumverschiebungen verhalfen dazu, dass für das gesamte Jahr 2020 unter dem Strich sogar ein Umsatzplus für den Detailhandel resultieren dürfte. Dies ist durchaus bemerkenswert, da die Rezession und unsichere Wirtschaftsaussichten auch zu einem signifikanten Konsumverzicht hätten führen können. Staatliche Zuwendungen, ausbleibende Ferienausgaben und nicht zuletzt Bedarfsanpassungen an die neue Situation dürften den Detailhandel gestützt haben. Dieses Plus darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es grosse Unterschiede zwischen einzelnen Verkaufssparten gab.

Die grossen Leidtragenden der Pandemie waren und sind Anbieter von klassischen Shoppinggütern wie Bekleidung, Schuhen, aber auch Kosmetik (Make-up) oder Schmuck. Es handelt sich dabei vor allem um Warenhäuser und Filialisten in den Innenstädten und Shoppingcentern. Die nominalen Umsätze im Bereich Bekleidung und Schuhe lagen gemäss BFS im April rund 80% unter dem Vorjahr. Die Sparte vermochte sich zwar im 3. Quartal wieder zu erholen, auch stationär. Aber ein harziges Weihnachtsgeschäft – auch bedingt durch die Sonntags- und Abendverkaufsverbote – dürften für das Gesamtjahr 2020 eine Umsatzeinbusse im zweistelligen Prozentbereich beschert haben.

IT / Unterhaltungselektronik und Food profitieren – ­Fashion deutlich im Minus

Zu den Profiteuren der aussergewöhnlichen Lage zählt der Food-Bereich, weil die Bevölkerung nicht ins Restaurant kann oder will. Während der Lockdown-Phase im zweiten Quartal lagen die Umsätze im Food-Bereich rund 10% über dem Vorjahr. Gemäss Auswertungen von Kredit- und Debitkartentransaktionen haben die Lebensmittelhändler auch ein gutes Weihnachtsgeschäft erlebt. Zu den weiteren Profiteuren zählen Anbieter von IT / Elektronik, Haushalts- und Einrichtungsbedarf sowie Sport- und Freizeitartikeln. Durch die gewonnene Zeit in den eigenen vier Wänden kauften Frau und Herr Schweizer Heimfitnessgeräte, Steamer, grössere Fernseher, Fahrräder oder Weinschränke.

Die grosse Gewinnersparte war aber eindeutig die IT / Unterhaltungselektronik, da hier neben der Devise «Bleib zu Hause» auch das Aufrüsten von Millionen von Homeoffice-Arbeitsplätzen wirkte. Dieser unter Preisdruck stehenden Sparte verhalf Corona somit zu einer Erholung, nachdem diese in den letzten Jahren mit sinkenden Umsätzen zu kämpfen hatte. FPRE geht jedoch nicht davon aus, dass dieser Umsatzanstieg nachhaltig ist und zu einer steigenden Nachfrage nach Verkaufsflächen führen wird in den nächsten Jahren, da der Onlinehandel in dieser Gütergruppe zu attraktiv ist.

Während bei Fashiongütern selbst der Onlinehandel Mühe bekundete, weil man ohne Festivals, Ausgang und Büromeetings schlichtweg wenig Bedarf nach neuen Kleidern und Make-up hatte, war der Onlinehandel insgesamt aber dennoch der ­grosse Profiteur der Pandemie. Dies geschah auf Kosten des stationären Handels, der bekanntermassen ohnehin strukturell unter Druck steht. Abgesehen von Nahversorgern wird das Jahr 2020 unter dem Strich für die stationären Umsätze und somit für die Mieteinnahmen – bei Umsatzmieten – klar negativ ausfallen.

Pandemiebedingte ­Konsumverschiebungen

Aus heutiger Sicht ist nicht davon auszugehen, dass die bisherigen Funktionsweisen, Trends und Triebkräfte nun zur Makulatur werden. Vielmehr dürfte der Strukturwandel und die damit verbundene Transformation in die gleiche Richtung weitergehen. Nicht alle Pandemie-Profiteure haben positive Post-Corona-Aussichten und umgekehrt werden etwa dem Bereich Beauty / Kosmetik – der unter dem Lockdown litt – gute Zukunftsaussichten attestiert. Das Segment Bekleidung und Schuhe wiederum verliert aufgrund von Konsumverschiebungen, Onlinehandel und Preiszerfall seit rund zehn Jahren an Bedeutung im stationären Handel und wird vermehrt durch Service-Dienstleister und Handelsgastronomen komplementiert.

Zukünftige Innenstadtgeschäftshäuser und Shoppingcenter dürften neben Retail und Gastronomie in den Obergeschossen Kliniken, Ausbildungsinstitute, Co-Working, Fitness oder Hotelnutzungen aufweisen. Geschäfte aus den Bereichen Optik, Kosmetik / Gesundheit und Sport / Freizeit dürften sich gemäss unseren Einschätzungen auch in den nächsten Jahren gut halten, und ganz generell wird die Nachfrage nach physischen Flächen im Bereich Gastronomie und Dienstleistungen weiter gegeben sein durch die steigende Bevölkerungszahl. Auch für das Format der Fachmärkte (Bau- und Hobby) sollte in nächster Zeit ein Markt vorhanden sein.

Gegenwärtig diskutiert werden auch regionale Konsumverschiebungen infolge einer allfälligen Stadtflucht – Stichwort Homeoffice. Ob es tatsächlich zu einer Verschiebung der Wohnortpräferenz kommen wird, hängt auch davon ab, wie stark das Arbeiten von zu Hause aus wirklich zunehmen wird. Eine von FPRE durchgeführte Umfrage zeigt, dass mehrheitlich eine leichte Erhöhung des Pensums in den eigenen vier Wänden zu erwarten ist, wobei das Ausmass von der Unternehmensgrösse und der Branche abhängig ist. Unserer Meinung nach kommt ein starker, aber noch realistischer Shift zum Homeoffice einer Erhöhung des Homeoffice-Pensums von plus / minus 15% gleich. Somit können die Innenstädte darauf hoffen, dass sich der negative Effekt auf die Umsätze in Grenzen hält.

Aufholeffekte im Non-Food-Bereich erwartet

Für die nächsten Monate bleibt der Ausblick für den stationären Handel stark eingetrübt. Ein verzögerter konjunktureller Effekt mit steigender Arbeitslosigkeit und Konkursen von Geschäften und Gastronomiebetrieben ist wahrscheinlich. FPRE erwartet für das kommende Jahr steigende Leerstände und weiter sinkende Mieten im Verkaufsflächenmarkt. Für die im letzten Jahrzehnt gesunkene Flächenproduktivität (Quadratmeterumsätze) im Schweizer Detailhandel sind die Markmieten vielerorts immer noch (zu) hoch. Gleichzeitig zeigen die beachtlichen Frequenzen nach Lockdown-Ende aber auch den Drang nach «realen» Tätigkeiten und Erfahrungen.

Das konjunkturelle Basisszenario von FPRE, welches eine Eindämmung der Pandemie mit entsprechenden Lockerungen voraussetzt, erwartet, dass es in der zweiten Jahreshälfte 2021 für die Verkaufsflächen wieder positive Impulse geben wird mit einer gewissen Normalisierung der Mobilität (inklusive Tourismus). Dadurch würden die aktuell stark betroffenen Innenstadtlagen (Highstreet) und damit die Segmente Fashion und Kosmetik einen Aufholeffekt erzielen. Dass es mit diesem Virus aber auch ganz anders kommen kann, versteht sich von selbst.