Immobilienpolitik
Zuweilen haben Urteile des Bundesgerichts eine politische Dimension – wie zuletzt der Entscheid über die Berechnung der zulässigen Rendite im Mietwesen.
Von: Ivo Cathomen

Korrektur einer weltfremden Praxis

Mieter können unter gewissen Voraussetzungen die Höhe des Anfangsmietzinses für Wohn- und Geschäftsräume als missbräuchlich anfechten und dessen Herabsetzung verlangen. Ob ein Mietzins missbräuchlich ist, bestimmt sich entweder danach, ob damit ein übersetzter Ertrag aus der Mietsache erzielt wird (Nettorendite, absolute Methode) oder ob sich der Mietzins im Rahmen des Orts- oder Quartierüblichen bewegt (relative Methode).

Im Urteil des Bundesgerichts 4A_554 / 2019 vom 26. Oktober 2020, das jetzt vorliegt, betrug der monatliche Anfangsmietzins für eine 4,5-Zimmer-Wohnung im Kanton Waadt 2190 CHF (exkl. Nebenkosten) und für die zwei Einstellhallenplätze je 130 CHF. Das zuständige Mietgericht senkte die Wohnungsmiete auf Klage der Neumieter aufgrund einer Berechnung der Nettorendite auf 900 CHF pro Monat, die Miete für die beiden Parkplätze auf je 50 CHF pro Monat. Das Waadtländer Kantonsgericht bestätigte diesen Entscheid.

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde der Vermieterin – einer Pensionskasse – teilweise gut. Es legt den zulässigen monatlichen Mietzins für die Wohnung auf 1390 CHF fest und für die Parkplätze auf je 73 CHF. Bei seinem Entscheid ändert das Bundesgericht seine bisherige Rechtsprechung zur Berechnung der Nettorendite. Konkret geht es dabei um zwei Parameter: Erstens ist das investierte Eigenkapital neu zu 100% – und nicht wie bisher nur zu 40% – an die Teuerung anzupassen. Zweitens darf der Ertrag den Referenzzinssatz um 2% – und nicht wie bisher nur um 0,5% – übersteigen, wenn der Referenzzinssatz 2% oder weniger beträgt. Im Weiteren bestätigt das Gericht jedoch seine Praxis, etwa indem es die Hierarchie von absoluter und relativer Methode aufrechterhält.

Überraschender Zeitpunkt

Interessant ist, wie das Bundesgericht sein Urteil in einer eigens dazu publizierten Medienmitteilung begründet: Die Rechtsprechung zu den beiden nunmehr geänderten Parametern datiere aus den Jahren 1994 bzw. 1986. Massgebend für die aktuelle Praxisänderung seien die seither eingetretenen Veränderungen, insbesondere die nachhaltig gesunkenen Zinssätze für Hypotheken bzw. des massgebenden Referenzzinssatzes. Diese Entwicklung habe dazu geführt, dass gemäss bisheriger Berechnungsmethode mittlerweile sehr niedrige Mieterträge resultierten. Diese stünden in keinem angemessenen Verhältnis zur Nutzung betreffender Wohnungen. Sie seien namentlich für Pensionskassen, die Renten an ihre Versicherten zahlten und dementsprechend einen hinreichenden Ertrag aus ihren eingeschränkten Anlagemöglichkeiten erwirtschaften müssten, nicht ausreichend. Das gelte aber auch für die übrigen Immobilieneigentümer, die ebenfalls Risiken eingehen würden (u. a. Mietzinsverluste, leerstehende Räumlichkeiten).

Diese wirtschaftliche Sichtweise ist für das Gericht beachtenswert. Die Festsetzung des zulässigen Mietzinses durch die Vorinstanz auf 900 CHF pro Monat bezeichnet das oberste Gericht denn auch als «schockierendes Ergebnis». Es muss den Richtern gedämmert haben, dass unter den aktuellen Umständen der von ihnen eingeschlagene und seit Jahren beschrittene Weg zu absurden Ergebnissen führt, gerade in der Westschweiz.

Dass hier eine Praxisänderung angezeigt ist, dürfte bereits bei der Besetzung des Gerichts berücksichtigt worden sein. Üblicherweise werden solche Verfahren in einer Dreier- und nicht wie nun in einer Fünferbesetzung geführt. Die Vorsitzende des Verfahrens und Präsidentin der Ersten zivilrechtlichen Abteilung, Christina Kiss, gilt ansonsten als mieterfreundlich. Die Gewichtung der Argumente dürfte auch politischen Niederschlag finden, wird das Urteil doch just vor der Behandlung der parlamentarischen Initiative von Nationalrat Olivier Feller «Zeitgemässe Berechnung der zulässigen Rendite im Mietrecht» im Ständerat veröffentlicht. Dies kann als Signal an die Mietervertreter gedeutet werden, dass das Gericht künftig wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt. Eine andere Lesart ist allerdings, dass nun ein nach links gerücktes Parlament (tiefe) fixe Aufschläge ins Gesetz schreiben könnte oder dass damit sogar eine Revision des Mietrechts Auftrieb erhält.

Neue Fragen und Probleme

Mit der Praxisänderung führt das Bundesgericht einen Schwellenwert des Referenzzinssatzes von 2% ein. Dies führt konsequenterweise dazu, dass der Aufschlag bei einem Referenzzinsatz von 2,25% oder mehr weiterhin nur 0,5 Prozentpunkte betragen darf. Bei einem Referenzzinssatz von 2,25% wäre die zulässige Rendite somit 2,75% bei einem Referenzzinssatz von 2% jedoch 4%. Hier urteilt das Bundesgericht erneut praxisfremd und nur auf den gerade vorliegenden Fall bezogen. In dieser Sache muss eine Nachbesserung des Bundesgerichts folgen, beispielsweise mit abgestuften oder gleitenden Aufschlägen.

In der dritten Woche der Wintersession wird sich der Ständerat mit verschiedenen Vorstössen zum Mietrecht beschäftigen. Aus der Sicht von Olivier Feller ist sein Vorstoss praktisch gegenstandslos geworden. Wesentliche Teile seines Anliegens seien nun im Bundesgerichtsurteil berücksichtigt worden. Zurückziehen lässt sich die parlamentarische Initiative allerdings nicht mehr.

Der SVIT Schweiz hat darum den bürgerlichen Mitgliedern des Ständerats – in Absprache mit dem Initianten – ein Nein ans Herz gelegt. Ebenso lehnt der Verband zwei parlamentarische Initiativen von Nationalrat und Uspi-Präsident ­Philippe Nantermod sowie die Motion der Rechtskommission des Ständerats zur Totalrevision der Mietzinsgestaltung im Mietrecht ab.