Immobilienrecht
Das Bundesgericht entschied darüber, ob Nachbarschaftsstreitigkeiten einen Mangel an der Mietsache darstellen und ob negative Immissionen von Bäumen ausgegangen sind.
Von Charles Gschwind

Nachbarrechtliche Streitigkeit als Kündigungsgrund?

Im ersten Fall ging es um das Ehepaar X, die Beschwerdeführer, welches im März 2015 mit der Beschwerdegegnerin Z einen Mietvertrag über eine Vierzimmerwohnung in Lausanne abschloss. Darin wurde festgehalten, dass das Mietverhältnis sich jeweils am 1. April um ein weiteres Jahr verlängern würde, falls nicht drei Monate im Voraus gekündigt werden würde.

Im Mai 2016 begannen die Probleme mit der Familie A, welche in der Wohnung unter der Familie X lebte. Frau X fühlte sich vom Lärm der Familie A gestört, Frau A gab hingegen an, noch nie Probleme mit den Nachbarn gehabt zu haben. Im Juni 2016 gab es eine Auseinandersetzung mit der Tochter der Familie A, da ihr entwichener Hund die Hosen von Frau X beschädigte, welche darauf die Tochter anschrie und mit Fusstritten drohte (wobei ungeklärt blieb, ob gegenüber dem Hund oder der Tochter). Im Oktober 2016 kam es am Waschtag des Ehepaars X zu einer verbalen Auseinandersetzung, da sich Frau A ebenfalls in der Waschküche aufhielt, allerdings ihre persönliche Waschmaschine benutzte. Da sich Frau X gestört fühlte, rief sie die Polizei und wandte sich zwecks Beschwerde an die Verwaltung. Ein Versuch der Mietergemeinschaft, eine konstruktive Lösung zu finden, scheiterte daran, dass Frau X sich weigerte, an der Versammlung teilzunehmen.

Ist eine nachbarrechtliche Streitigkeit ein Mangel bzw. ein ausserordentlicher Kündigungsgrund?

Im Mai 2017, also nach Ablauf ihres Kündigungsrechts, wandte sich Frau X an die Verwaltung und behauptete, dass ihr eine Weiterführung des Mietvertrages aufgrund des Verhaltens der Familie A und der Untätigkeit der Verwaltung unzumutbar sei. Frau X erklärte anschliessend die fristlose Kündigung nach Art. 259b lit. a OR, eventualiter eine ausserordentliche Kündigung nach Art. 266g OR. Daneben behielt sie sich vor, Schadenersatz zu verlangen, vor allem in der Form von Mietreduktionen und den Kosten, welche entstanden waren für die Wochenenden, welche sie aufgrund der Spannungen fernab der Wohnung verbringen musste. Ebenfalls führten sie an, dass sie ein zweites Kind erwarte, und dies ebenfalls einen wichtigen Kündigungsgrund im Sinne von Art. 266g OR darstellen würde. Das Mietverhältnis sollte auf den 31. August 2017 enden, der Auszug bereits am 30. Juni 2017 stattfinden.

Die Verwaltung bestand auf das vereinbarte Mietende per 1. April 2018. Sie stellte sich auf den Standpunkt, dass die Kündigung vorausschauenden Charakter aufweisen würde und somit nicht zu einem späteren Zeitpunkt akzeptiert werden würde. Daneben fügte sie an, dass solche Konflikte vor dem Einzug der Familie X nicht existiert hätten. Ende Juni 2017 zog die Familie X schliesslich aus, ohne einen Nachmieter zu stellen.

Ende Oktober 2017 fanden sich das Ehepaar X und die Vermieterin der Wohnung, Z, vor dem Mietgericht des Kantons Waadt wieder. Die Mieter forderten die Feststellung des Mietendes per 30 Juni 2017, monatliche Mietreduktionen, Schadenersatz für 26 Wochenenden in Flums sowie Ersatz der Umzugskosten. Die Vermieterin ihrerseits forderte die Bezahlung der restlichen Miete bis zum 1. Februar 2018, da inzwischen ein Nachmieter gefunden werden konnte. Das Mietgericht befand schliesslich, dass der vorliegende Nachbarschaftskonflikt keinen Mangel der Mietsache selbst darstellen würde. Folglich hätten die Mieter keinen Anspruch auf eine Mietreduktion. Aufgrund des Fehlens eines Mangels ist auch keine fristlose Kündigung im Sinne von Art. 259b lit. a OR möglich. Ebenfalls würde kein wichtiger Grund gemäss Art. 266g OR vorliegen, der eine ausserordentliche Kündigung rechtfertigen würden. Da kein Nachmieter präsentiert wurde, wurden die Mieter solidarisch dazu verpflichtet, die Miete bis Ende Januar 2018 zu bezahlen. Die Mieter zogen dieses Urteil an die zweite kantonale Instanz weiter, welches die Beschwerde Mitte August 2019 abwies. Schliesslich gelangten die Mieter an das Bundesgericht.

Keine ausserordentliche Kündigung

Das Bundesgericht hielt an den Erwägungen der Vorinstanzen fest. Zusammenfassend stellte es fest, dass ein solcher Konflikt in der Verantwortung der beiden Nachbarn liegen würde und dieser sich durch das Verhalten der Frau X verschlimmert habe. Ebenfalls waren die Beschwerdeführer nicht am Zugang der Waschküche oder ihrer Wohnung gehindert worden. Somit sei keine ausserordentliche Kündigung gerechtfertigt. Dass das Verhalten der Frau A einen schweren Mangel des Mietgegenstandes selbst darstellen würde, konnte somit nicht erstellt werden. Aufgrund des Fehlens eines Mangels wurden die verlangten Mietreduktionen sowie der geforderte Schadenersatz ebenfalls abgewiesen. Die Argumentation, wonach eine Vierzimmerwohnung für eine Familie mit zwei Kindern zu klein wäre und somit einen ausserordentlichen Kündigungsgrund darstellen würde, wurde ebenfalls verworfen. Schliesslich konstatierte das Bundesgericht, dass die Beschwerdeführer nicht berechtigt waren, das Mietverhältnis vorzeitig zu kündigen, und wies die Beschwerde ab.

BGer 4A_452 / 2019 vom 1. Juli 2020 

Schutz vor Immissionen auch für indirekte Nachbarn?

Hintergrund zum vorliegenden Fall war ein lange andauernder Nachbarschaftsstreit der Nachbarn A, B, C und D. Die Beschwerdeführer, A und B, waren Miteigentümer einer Liegenschaft im Kanton St. Gallen. Neben ihrer Liegenschaft verlief ein öffentlicher Weg, welcher wiederum an die Liegenschaft der Miteigentümer C und D grenzte. Auf der Liegenschaft von A und B befanden sich unter anderem drei Bäume, alle zwischen 10 und knapp 15 Metern hoch, welche jeweils auf der zum Weg resp. Grundstück von C und D gerichteten Seite standen. Der Schattenwurf der Pflanzen war dann auch der Anlass für verschiedenste Diskussionen und Briefwechsel zwischen den Nachbarn. Im Jahr 2008 strebten C und D ein Verfahren gegen die Eltern von A und B und, nachdem die Liegenschaft an A und B übertragen worden war, im Jahr 2015 schliesslich gegen A und B an. Das Kreisgericht See-Gaster entschied Ende 2017, dass alle Bäume zu fällen seien. Die Berufung von A und B gegen diesen Entscheid wies das Kantonsgericht St. Gallen Ende Oktober 2019 ab.

Die Beschwerdeführer A und B zogen das Urteil vor das Bundesgericht und machten unter anderem geltend, dass die Parteien C und D gar nicht berechtigt wären, die Fällung der Bäume zu verlangen, da sie aufgrund des Weges zwischen ihren Grundstücken nicht direkte Nachbarn seien. Ebenfalls brachten sie vor, dass einer der Bäume, eine Scheinzypresse, ein sehr wertvoller Baum und schon lange geduldet worden sei, weshalb der Beseitigungsanspruch ebenfalls nicht gegeben sein könne.

Müssen die Bäume gefällt werden?

Im Nachbarrecht gilt gemäss Bundesgericht der Grundsatz gemäss Art. 684 ZGB, wonach jedermann verpflichtet ist, sich aller übermässigen Einwirkungen auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. Für Pflanzen sind in Art. 687 f. ZGB Spezialbestimmungen vorgesehen. Art. 687 Abs. 1 ZGB lege fest, dass ein Nachbar überragende Äste und eindringende Wurzeln, welche sein Eigentum schädigen und nicht innert angemessener Frist beseitigt werden, kappen und für sich behalten darf (sog. Kapprecht). Gemäss Art. 687 Abs. 2 ZGB hat ein Grundeigentümer, der das Überragen von Ästen duldet, ein Recht auf die an ihnen wachsenden Früchte (sog. Anriesrecht). Gemäss Art. 688 ZGB sind die Kantone befugt, für Anpflanzungen je nach der Art des Grundstücks und der Pflanzen bestimmte Abstände vom nachbarlichen Grundstück vorzuschreiben, wovon der Kanton St. Gallen Gebrauch gemacht hat. Entsprechend hätte vorliegend ein Mindestabstand von sechs Metern eingehalten werden sollen; dieser kantonale Mindestabstand wurde zwischen den Bäumen und der Weggrenze bzw. dem Grundstück von C und D dabei nicht eingehalten.

Das Bundesgericht hielt fest, dass gemäss Lehre und Praxis die Beseitigung von Pflanzen im Unterabstand grundsätzlich jederzeit verlangt werden könne. Vorliegend bestehe kein Grund dafür, von dieser langjährigen und konstanten Rechtsprechung abzuweichen, erst recht nicht, nachdem diese inzwischen kodifiziert worden sei.

Beschwerde abgewiesen

Bezüglich des Wertes der Scheinzypresse nahm das Bundesgericht eine Interessenabwägung vor und stellte fest, dass die Interessen des Beschwerdeführers (Wiederbeschaffungswert des Baumes angeblich 21 600 CHF sowie fehlende Versetzbarkeit aufgrund der Höhe) gegenüber denjenigen der Beschwerdegegner nicht krass überwiegen würden. Bei einem früheren Augenschein konnte bei Letzteren festgestellt werden, dass die Bäume der Liegenschaft Sonne und Licht entzogen und somit negative Immissionen verursachten. Das Bundesgericht führt ebenfalls einen Entscheid aus dem Kanton Aargau aus, aus dem hervorging, dass ein allfällig hoher Wert einer Pflanze erst dann relevant wäre, wenn die Nachbarn diese über lange Zeit ohne Widerspruch geduldet hätten. Da die Höhe der Scheinzypresse erstmalig in einem Schreiben im Jahre 2003 beanstandet wurde, konnte nicht von einer langen Zeit ohne Widerspruch ausgegangen werden. Aus diesen Gründen wies das Bundesgericht die Beschwerde ab, womit A und B weiterhin zur Fällung ihrer Bäume verpflichtet wurden.

BGer 5A_968 / 2019 vom 20. Mai 2020