Bau & Haus
Rund 160 Bauhandwerksbetriebe und Planer aus der Deutschschweiz haben sich vor 25 Jahren in zehn Regionalgruppen zur IG Altbau zusammengeschlossen.
Bis heute haben sie über 5000 alte Gebäude und Baudenkmäler saniert.
Von: Angelo Zoppet-Betschart

Tiefe Sanierungsquote

Weit über die Hälfte der Immobilien in der Schweiz sind älter als 40 Jahre. Rund anderthalb Millionen Häuser sind bautechnisch und energetisch sanierungsbedürftig. Die Sanierungsquote hingegen ist noch immer tief: Aktuell liegt sie bloss bei rund einem Prozent jährlich. Zudem werden fast dreiviertel der Gebäude heute noch immer fossil oder direkt elektrisch beheizt. Um den gesamten gegenwärtigen Sanierungsstau zu lösen, sind laut Experten Investitionen von rund 50 Mrd. CHF notwendig.

Bei vielen Vor- und Nachkriegskriegsbauten und vor allem bei unzähligen Gebäuden aus den 1960er und 1970er Jahren geht eine umfassende Sanierung richtig ins Geld. Die Optimierung des bestehenden Gebäudeparks bezüglich Energieeffizienz ist ein wichtiger Baustein zur Umsetzung der vom Bund propagierten Energiewende. Doch die Sanierung älterer Bauten erfordert, vor allem wenn sie unter Denkmalschutz stehen, ein überlegtes und achtsames Vorgehen. Nur so lässt sich der Erhalt alter und historischer Gebäudebestände an heutige und künftige Anforderungen vereinbaren. Nicht nur Fachleute und Bauplaner sind sich einig, dass Bauen im Bestand sich nicht immer nach dem maximal möglichen Energieeinsparungspotenzial richten kann. Ein für alle Seiten zufriedenstellender Kompromiss zwischen Erhalt historischer Bausub­stanz und modernen Nutzungs- sowie Energieanforderungen muss praktisch für jedes Projekt tiefgreifend analysiert und ausgehandelt werden.

Zusammenschluss von Altbaufachleuten

Alte Bauten sind oft bewohnergerechter und individueller gestaltet als viele der heutigen modernen Neubauten und versprühen dadurch einen einzigartigen Charme. Zudem ist die Bauqualität von Bauten aus jüngerer Zeit auf ein bedenkliches Niveau gesunken. Unter anderem wegen des enormen Kosten‑ und Zeitdrucks, aber auch wegen des handwerklichen Wissensverlustes. Davon ist Architekt Philipp Hostettler überzeugt. Der Inhaber des Büros «Sensible Architektur» im appenzellischen Bühler sagt unverblümt: «Viele der neuen Konstruktionen und Materialien von heute sind von kurzer Lebensdauer. Sie sind für die Bauherren und Besitzer versteckte finanzielle Zeitbomben. Neu ist also nicht automatisch besser.» Philipp Hostettler ist überzeugt, dass die meisten Bauten von 1870 bis 1920 das Beste seien, das punkto Qualität und Nachhaltigkeit in unserem Lande je gebaut wurde: «Wer risikofreudig ist, kauft ein neueres Haus; wer sein Geld sicher anlegen will, ein altes.»

Schon zu Beginn der 1990er Jahre bemängelten engagierte Bauplaner, Handwerker, Gutachter und weitere Spezialisten (inkl. Historiker) zunehmend weniger spezifisches Wissen und Können im Umgang mit alter Bausubstanz. Zehn Handwerksbetriebe mit Architekten und historischen Bauspezialisten der Regionen Schaffhausen, Toggenburg, Thurgau, der Zentralschweiz und Zürich gründeten 1996 die Interessengemeinschaft Altbau, fortan kurz «IG Altbau» genannt. Der als Verein eingetragene Verband hat seinen Sitz am Ort der Geschäftsstelle. Heute in Seon mit Geschäftsstellenleiterin Sabine A. Michel.

Integrales Sanierungs- und Altbauangebot

Als Präsident amtet der bekannte Zürcher Baumeister Christian Gasser. Vizepräsident und Leiter Öffentlichkeitsarbeit ist der bereits genannte Architekt und Wissensvermittler Philipp Hostettler. Heute umfasst die Vereinigung zehn Regionalgruppen mit über 160 Mitgliedern, die mehr als 5600 Mitarbeitende beschäftigen. Weit über 5000 Objekte haben die Planer, Handwerker und Spezialisten bis heute ausgeführt und begleitet.– Fast alle Gewerke und Planer sind vertreten: vom Baumeister, Gipser und Schlosser, über Schreiner, Maler und Bodenleger bis hin zum Baureiniger. Selbstverständlich umfassen die Regionalgruppen auch Bauplaner, Bauleiter, Experten und weitere Altbauspezialisten. Die IG Altbau ist heute fast in allen Regionen der Deutschschweiz vertreten. Gegenwärtig sei man im Gespräch mit Interessenten aus dem Kanton Graubünden, sagt Geschäftsstellenleiterin Sabine A. Michel. «Wir streben ein moderates Wachstum an. Bei uns steht Qualität vor Quantität.» Und Präsident Christian Gasser fügt bei: «Primär wollen wir unsere Bekanntheit steigern und fördern. Wir sind daran, unser Wissen und Qualitätsmanagement stetig zu verbessern und die IG Altbau innerhalb der Deutschschweiz auch gegen Westen zu erweitern.» Allerdings kann nicht jedes beliebige Unternehmen ohne Weiteres einer Regionalgruppe beitreten. Vor der Aufnahme wird jede Firma auf ihre Eignung eingehend geprüft. Die Ausrichtung auf Altbauten soll nicht nur eine reine Marktstrategie sein, sondern im Alltag gelebte Firmenphilosophie, der mit Herzblut nachgelebt wird.

Ein zentrales Anliegen der Vereinigung ist die stetige Weiterbildung der Mitglieder und die Steigerung der Schnittstellenkompetenz. Einerseits organisieren die einzelnen Regionalgruppen regelmässige Objektbe­gehungen, um so bauliche Aufgabenstellungen zu studieren und zu diskutieren. Andererseits bietet der Verband jährlich mehrere Weiterbildungsanlässe an. Diese sind grösstenteils kostenlos. Und zurzeit sind auf der Website der IG Altbau 45 bebilderte Bauberichte aufgeschaltet. Über 50 Themen- und Arbeitsblätter runden das vielfältige Publikationsprogramm ab. Präsident Christian Gasser erklärt: «Wir verstehen uns als Firmennetzwerk, das Bauträgern und Liegenschaftsbesitzern einzelne Bauleistungen oder aber auch die Bearbeitung ganzer Projekte anbietet.» Die Vereinigung achtet darauf, dass die unterschiedlichen Firmenphilosophien gut zusammenpassen. Dazu Vizepräsident Philipp Hostettler: «Qualität auf allen Ebenen ist uns besonders wichtig sowie auf die Kundenwünsche abgestimmte Leistungen. Damit leisten wir einen Beitrag zu einer gehaltvollen Baukultur.»