Immobilienwirtschaft
Während Hotel- und Gastronomiebetriebe nach Ausbruch der Pandemie starke Verluste hinnehmen mussten, bleibt die Nachfrage nach Büroflächen vorerst stabil. Ein Grund dafür ist, dass Bürotätigkeiten während des Lockdown nicht stark eingeschränkt waren.
Von: Jan Bärthel & Robert Weinert

Breiteres Research als Basis für Immobilienbewertungen

Die Immobilienbewertung dürfte im 2021 besonders anspruchsvoll werden. Auch wenn die Vorzeichen gut stehen, dass die Covid-19-Pandemie in diesem Jahr erfolgreich eingedämmt werden kann, bleiben auf absehbare Zeit grosse Ungewissheiten erhalten. Zum einen sind die kurz- und mittelfristigen wirtschaftlichen Perspektiven von Unsicherheit geprägt. Denn es ist zu erwarten, dass die staatlichen Hilfsprogramme zur Unterstützung der Wirtschaft ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr verlängert werden. Das könnte dazu führen, dass sich die wirtschaftliche Erholung verlangsamt. Und zum anderen dürfte die Pandemie den Immobilienmarkt auch langfristig wandeln, bzw. den Strukturwandel beschleunigen. Die Möglichkeit, vermehrt ausserhalb des Büros arbeiten zu können, sowie der nochmals verstärkte Trend, vermehrt online einzukaufen, werden die Ansprüche an die Wohn-, Arbeits- und Einkaufswelten verändern. Die Herausforderung besteht nun darin, die kurz-, mittel- und langfristigen Trends richtig einschätzen zu können und sie bei Immobilienbewertungen adäquat zu berücksichtigen.

Veränderte Leerstandsrisiken

Welche Erkenntnisse aus den letzten Monaten lassen sich bezüglich der Nachfrage nach Büroflächen auf die bevorstehende Zeit gewinnen? Im Zuge der Covid-19-Pandemie gingen bereits Stellen verloren. Im November 2020 lag die Zahl der Arbeitslosen um 46 940 Personen (+44%) höher als im Vorjahresmonat. Die stärksten Verluste mussten Beherbergungs- und Gastronomiebetriebe verzeichnen. Andere Bereiche wie das Gesundheits- und Sozialwesen sowie die Informationstechnologiedienstleister und die Bildungsunternehmen haben dagegen neue Stellen geschaffen. Auf die Nachfrage nach Büroflächen hat sich das vorerst nur gering ausgewirkt. Der insgesamt negative Beschäftigungssaldo hat einen Rückgang der Nachfrage um rund 50 000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche zur Folge. Ein Grund für diese relativ geringe Rückläufigkeit liegt erstens darin, dass Bürotätigkeiten auch während des Lockdown nicht stark eingeschränkt waren. Und zweitens konnten auch einige stärker wachsende Unternehmen die Nachfragerückgänge in anderen Sparten kompensieren.

Es muss jedoch damit gerechnet werden, dass die Nachfrage nach Büroflächen in den kommenden Monaten stärker unter Druck kommen wird. Das dürfte an verschiedenen Orten zu erhöhten Leerständen oder zu tieferen Marktmieten führen. Erst im 2022 könnte sich der Arbeitsmarkt wieder Schritt für Schritt erholen. Am dynamischsten dürften sich dann die MS-Regionen Lausanne, Zürich und Basel entwickeln, da hier diejenigen Branchen überdurchschnittlich vertreten sind, die sich in der aktuellen Krise stabil entwickeln oder sogar von ihr profitieren.

Ende des letzten Jahres hat sich das Angebot an verfügbaren Flächen nicht sonderlich stark erhöht, was in Anbetracht der vielerorts sehr regen Neubauproduktion und der stagnierenden Nachfrage durchaus erstaunlich ist. Da aber die Beschäftigung in der vergangenen Dekade gewachsen ist, konnte das Neubauangebot bisher gut absorbiert werden. Hinzu kommt, dass ein immer grösserer Anteil der neu erstellten Objekte in den Grossstädten Ersatzbauten für alte Objekte ist. Der Nettozugang an Quadratmetern ist deshalb geringer als die Neubauquoten suggerieren.

Neue nachhaltige Trends

Entscheidend für eine «richtige» Immobilienbewertung ist auch der Einbezug der Auswirkungen langfristiger Trends, die sich im Zuge der Covid-19-Pandemie ergeben oder verstärkt haben. So ist zum Beispiel während der nächsten Jahre ein Anstieg des Heimarbeitanteils in den Bürojobs auf rund 30% zu erwarten. Es ist damit künftig mit einem Rückgang der beanspruchten Fläche pro Büroarbeitsplatz zu rechnen. Trotzdem könnte die Flächennachfrage insgesamt stabil bleiben, denn einerseits dürften die Unternehmen langfristig wieder stärker wachsen. Andererseits dürfte der schwindende Bedarf an Platz für die eigentlichen Arbeitsplätze durch anderweitige Flächenbedürfnisse kompensiert werden. So überwiegt der Anteil der Unternehmen mit einem steigenden Bedarf an Flächen für Meetingräume, Fokuszimmer und für den Kundenbereich oder Aufenthaltsräume für die Mitarbeitenden.

Die Auswirkungen der nachhaltigen Entwicklungen zum jetzigen Zeitpunkt richtig einzuschätzen, ist besonders herausfordernd. Denn erstens fehlen für einige Entwicklungen die passenden Daten respektive Zeitreihen. Und zweitens könnten sich dadurch auch sehr stabile Faktoren – wie beispielsweise die Lagequalität – ändern. So dürften Coworking-Spaces künftig nicht schwerpunktmässig in den Innenstädten, sondern eher in den Wohngebieten nachgefragt werden, damit sich der Pendelweg in die Arbeitszentren vermeiden lässt. Für die Bewerter bedeuten die vielfältigen neuen Einflüsse ein noch breiteres Marktresearch, um das notwendige Wissen für die richtige Beurteilung der Leerstandsrisiken, Marktmieten, Kosten, Lagequalitäten und Kapitalisierungssätze.